Immer wieder begegnet mir die Frage "kann ich denn in der Trage oder im Tuch auch stillen?"
Antwort: Ja klar! Unbedingt sogar wenn du das möchtest!

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Wozu überhaupt in der Tragehilfe stillen?
Stillen in der Tragehilfe (inkl. Tragetüchern) hat mehrere Vorteile. So ist es zum einen unglaublich diskret - niemand kann einen Blick auf die entblößte Brust erhaschen, was einen Ausflug oder ein Familienessen im Restaurant durchaus entspannter gestalten kann. Gleichzeitig ist es so nicht nötig, die Brust und das Kind mit einem Spucktuch oder ähnlichem abzudecken, was ich grundsätzlich als gefährlich erachte weil es die Sauerstoffzufuhr vom Baby beeinträchtigt. Außerdem ist so ein Spucktuch schnell wieder von den kleinen fuchtelnden Babyhändchen weggerissen und die Brust ist für alle sichtbar.
An der Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich keinesfalls der Meinung bin, dass die Brust beim Stillen verdeckt werden sollte. Im Gegenteil, Brüste sieht man doch sowieso den ganzen Tag. Im Katalog, im Schwimmbad, Schaufensterpuppen, im Fernsehen, auf dem Handy, der Nachbar im Sommer beim Rasenmähen...
Es ist die Entscheidung jeder Frau, womit sie sich wohlfühlt und ob sie sich lieber bedeckt oder nicht. Ich persönlich habe mich am Anfang meiner Mutterschaft wohler gefühlt, wenn ich das Gefühl hatte niemanden durch meine Brüste zu "belästigen". Mittlerweile sehe ich das anders und bin ganz klar dafür, Stillen in der Öffentlichkeit zu enttabuisieren!
Ein weiterer Vorteil vom Stillen in der Tragehilfe: Hände frei! (Zumindest eine)
Was nicht bedeuten soll, dass man als Mama beim Stillen auch noch effizient sein soll! Davon möchte ich mich an dieser Stelle ganz klar distanzieren. Druck auf Mütter, insbesondere im Wochenbett gibt es schon genug. Ich bin absolut dafür, dass sich das Mutter-Kind-Team während dem Stillen die nötige Zeit nimmt und sich zu Hause eine angemessene Umgebung dafür schafft.
Andererseits gibt es immer wieder Situationen, in denen eben kein kuscheliges Sofa mit Kissen zur Verfügung steht. Manchmal ist es einfach umgebungsbedingt nicht möglich, das Baby abzulegen oder aus der Tragehilfe nehmen. Zum Beispiel, weil ich gerade am Kochen bin und ich gerade wirklich nicht vom Ofen weg kann. Oder bei einem Spaziergang draußen im Wald, bei dem ich mich nicht unbedingt zum Stillen auf den nassen Boden setzen möchte. Im Winter, wenn ich das Baby unter meiner Jacke trage und es einfach zu kalt wäre, wenn ich es aus der Tragehilfe und dementsprechend aus der Jacke holen würde. Oder schlichtweg weil ich selbst etwas essen will.
Gründe und Situationen, aus denen sich die Notwendigkeit für das Stillen in der Tragehilfe ergeben sind breit gefächert.
Schon wieder Hunger?
Viele stillende Mamas kennen das Gefühl, zeitweise an das Sofa gefesselt zu sein, weil das Baby scheinbar nur noch stillen möchte. Ständig möchte es an die Brust und lässt sich nach dem Einschlafen nicht ablegen. Dann wacht es auf und möchte wieder an die Brust. Dieses Verhalten ist absolut normal und nennt sich "Clusterfeeding". Nachfrage steuert das Angebot, und das Baby "bestellt" schon mal für die nächsten Mahlzeiten vor.
Nicht selten löst dieses phasenweise auftretende Verhalten bei Müttern ein Gefühl des "fremdbestimmt-seins" aus. Vor allem dann, wenn es wenig bis gar keine Unterstützung im Alltag gibt und die To-Do-Liste ewig lang erscheint. Dieses Gefühl der Fremdbestimmung kann für eine Mama zur Belastungsprobe werden. Einerseits möchte man dem Baby natürlich alles geben - und davon viel! Andererseits ist man ja auch noch ein Mensch und möchte oder muss sogar Dinge erledigen. Dann kann das Stillen in der Tragehilfe ein guter Kompromiss sein.
Darüber hinaus kann das Tragen sogar das Stillen fördern und unterstützend bei Stillproblemen wirken. Tragen bedeutet intensiven Körperkontakt zwischen Kind und tragender Person, in diesem Fall die stillende Mutter. Und Körperkontakt setzt Oxytocin frei, das sogenannte Kuschelhormon.
Oxytocin sorgt beim Stillen dafür, dass sich die Milchbläschen in der Brust zusammenziehen und die Milch dadurch "ausgestoßen" wird. Der Milchspendereflex wird also ausgelöst und die Milch beginnt zu fließen. Ohne diesen Reflex, also ausschließlich durch reinen Sog/Druck kann nur sehr wenig Milch gewonnen werden. Das wiederum wirkt sich negativ auf die Milchbildung aus, denn Nachfrage steuert das Angebot. Je weniger Milch also entleert wird, desto weniger wird produziert.
Zusätzlich wirkt sich Hautkontakt auf das Nervensystem des Babys aus. Entspannte und ausgeschlafene Babys können besser andocken als gestresste Kinder.
Auch kann es sehr neugierigen Babys beim Stillen helfen, durch die Tragehilfe etwas "abgeschottet" zu sein. Wenn sich Mama dann auch noch sanft durch den Raum bewegt, ist das Baby sicherlich vollkommen entspannt.
Das Tragen von Babys kann also das Stillen durch eine vermehrte Hormonausschütung begünstigen. Allerdings möchte ich hinzufügen, dass bei Stillproblemen möglichst eine Fachperson hinzugezogen werden sollte. Dies kann z.B. eine Hebamme mit entsprechender Zusatzqualifikation oder eine Stillberaterin sein.
Im Gegensatz dazu können durch falsches Anlegen der Tragehilfe oder die falsche Bindeweise Stillprobleme verursacht werden!
Dies ist insbesondere dann der Fall wenn:
das Baby zu sehr an den Körper der Mutter gepresst wird
die Schulterträger der Tragehilfe in den Achseln oder seitlich an den Brüsten drücken.
Die Kopfkante beim Tuch/Ringsling unter der Achsel einschneidet
Dabei werden Milchgänge abgedrückt und es kann im schlimmsten Fall zu einem Milchstau bis hin zu Entzündungen der Brust kommen. Zu viel Druck auf die Brust kann dabei ähnlich wie ein zu enger BH wirken und dafür sorgen, dass die Milch in den Brüsten gestaut wird. Wenn du dir unsicher bist, ob du die Tragehilfe richtig anlegst, komme ich gerne für einen kurzen Check-up vorbei - mach hierfür einfach einen Kurztermin mit mir aus!
How to: Stillen in der Tragehilfe/im Tragetuch
Grundsätzlich solltet ihr eine stabile Stillbeziehung aufgebaut haben und du im Handling deiner Tragehilfe sicher sein! Denn um in einer Tragehilfe stillen zu können, musst du diese zwangsläufig etwas lockern.
Kleiner Tipp noch vorweg: wähle deine Kleidung morgens weise! Mit einem Rollkragenpulli wird es sicherlich akrobatisch, wohingegen Shirts mit elastischen V-Ausschnitten oder Ausschnitten zum Knöpfen unkompliziert sind. Selbstverständlich bietet sich auch Stillmode an. Auch die Wahl (d)eines BHs erschwert oder erleichtert dir das Stillen in der Tragehilfe.
Wie immer ganz wichtig: Sicherheit geht vor! Die Atmung muss durchgehend gewährleistet sein! Das Gesicht deines Kindes darf also nicht in der Tragehilfe verschwinden oder durch Kleidungsstücke bedeckt werden. Vergiss nicht, die Tragehilfe nach dem Stillen wieder korrekt anzulegen. Dadurch, dass alles etwas lockerer sitzt können vor allem kleine Babys zusammensacken was die Atmung behindern kann. Während dem Stillen solltest du sicherheitshalber immer mit einer Hand den Rücken des Babys stützen. Wenn du dir unsicher im Handling bist, können wir gerne gemeinsam in einer Beratung üben. Natürlich angezogen ;-)
Fullbuckle-Trage
Hier bieten sich die oberen Schnallen der Tragehilfe an, die eigentlich dafür gedacht sind die Trägerpolsterung zu verlängern oder zu verkürzen. Mittlerweile hat sich der Begriff "Stillschnallen" dafür etabliert. Einfach weil sie so praktisch für das Stillen sind.
Du lockerst also als erstes die Schulterträger entweder oben an den Schnallen oder seitlich, wo du sie festgezogen hast.
Danach sichert eine Hand dein Baby am Rücken! Mit der anderen Hand lockerst - niemals öffnen! - du den Bauchgurt ein wenig, sodass du dein Baby mitsamt der Trage ein paar cm nach unten schieben kannst. Eine Hand bleibt dabei sicherheitshalber konsequent am Kind! Gegebenenfalls kannst du den Bauchgurt nun wieder enger ziehen.
Möglicherweise musst du je nach Bekleidung und Fähigkeiten deines Babys noch die Brust ein wenig mit der freien Hand entkleiden und positionieren.
Nach dem Stillen schiebst du den Bauchgurt inklusive Baby wieder auf die ursprüngliche Position und ziehst sämtliche Gurte wieder fest. Kontrolliere anschließend den richtigen Sitz deines Kindes in der Trage und korrigiere falls nötig die Anhockung.
Halfbuckle / MeiTai / Wrapconversion
Du öffnest den Knoten und achtest darauf niemals die Spannung in den Trägern/Tuchbahnen zu verlieren! Dann lockerst du die Träger kontrolliert und fixierst wie üblich die Trägerenden. Ab hier hält wieder eine Hand das Baby gestützt und die andere Hand lockert - niemals öffnen! - den Bauchgurt.
Dann schiebst du auch hier das Baby mitsamt der Tragehilfe etwas nach unten, sodass das Gesicht des Kindes auf Brusthöhe ist. Gegebenenfalls kannst du jetzt noch den Bauchgurt enger ziehen/binden. Sicherheitshalber bleibt eine Hand während der Stilldauer am Babyrücken.
Nach dem Stillen schiebst du dein Baby mitsamt dem Bauchgurt wieder höher und fixierst diesen. Dann löst du die Schulterträger ohne die Spannung zu verlieren und straffst nach. Schließe wie gewohnt mit einem Doppelknoten ab. Kontrolliere den Sitz und die korrekte Anhockung vom Baby, korrigiere gegebenenfalls.
Tragetuch
Öffne den Knoten und binde das Tuch soweit zurück, dass die Tuchstränge gelockert werden können. Fixiere das lockere Tuch wieder mit einem Doppelknoten und arbeite den losen Stoff "rückwärts" hin zu deinem Baby, sodass es etwas nach unten rutschen kann. Eine Hand bleibt während des Stillens sicherheitshalber die ganze Zeit am Babyrücken!
Nach dem Stillen schiebst du dein Baby wieder nach oben. Lehn dich dafür gerne ein Stück nach hinten. Danach straffst du die Tuchstränge wieder komplett durch, als würdest du das Tuch neu anlegen und schließt mit deiner gewohnten Bindeweise und einem Doppelknoten ab. Kontrolliere anschließend noch einmal den Sitz des Kindes und die Festigkeit der Bindeweise.
Ringsling
Das Stillen im Ringsling ist super einfach und deshalb ein guter Einstieg zum Stillen in der Tragehilfe. Hierbei genügt es, das Tuch durch das Anheben des oberen Rings etwas zu lösen und das Kind auf Brusthöhe zu positionieren. Nach dem Stillen das Tuch einfach wieder festziehen - fertig. Je nach Flächengewicht und Material des Tuchs kann das Festziehen etwas fummelig werden, weil die Sortierung in den Ringen beim Lockern verloren geht. Spätestens nach dem nächsten Öffnen der Ringe musst du den Sling also kurz neu sortieren.
Sicherheitshinweis: Vor dem Lösen des Rings unbedingt das Kind gut stützen! Durch den fehlenden Bauchgurt und sofortigen Spannungsverlust droht Rausfallgefahr!

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Zusammenfassung
Stillen in der Tragehilfe/im Tragetuch ist in bestimmten Situationen durchaus sinnvoll und praktisch. Voraussetzung dafür ist das absolut sichere Handling mit der jeweiligen Tragehilfe und eine eingespielte Stillbeziehung. Die richtige Kleidung kann das Stillen in der Tragehilfe fördern oder behindern und sollte vorab gut ausgewählt werden.
Stillen in der Tragehilfe soll situationsabhängig und nach Bedarf erfolgen, nicht etwa um die "Leistung" oder die Effizienz der Mutter bei bestimmten Tätigkeiten zu erhöhen. Andererseits kann sich die Mutter dadurch wieder selbstbestimmter fühlen und ihren Interessen oder Aufgaben nachgehen, was letztendlich für mehr Wohlbefinden sowohl für die Mutter, als auch für das Kind sorgt.
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